Harlene Anderson gestaltet ihre Arbeit im Rahmen der Postmoderne – sie beschreibt, wie viele Therapeuten eigentlich in der Moderne verhaftet sind. Moderne ist aus der Aufklärung entstanden, glaubt, es gäbe eine Wahrheit, eine Richtigkeit. Gerade im Austausch von Menschen miteinander – besonders wenn es um Hilfesituationen geht – ist das Gift. Ein Therapeut, der ein bestimmtes Verständnis hat, kann die Aussagen der Klienten nur in „seiner Wahrheit“ einordnen und wird damit Klienten selten gerecht. Als Alternative in der Postmoderne beschreibt Anderson den konstruktionistischen Ansatz. Der Konstruktionismus – in Abgrenzung zum Konstruktivismus, der erklärt, wie wir Wirklichkeit konstruieren – gestaltet individuelle Wahrheiten und Pluralität aktiv und schafft über die Gestaltung von Narrativen (die sehr dynamisch sein dürfen) Identität und Akzeptanz.

Ein faszinierendes Buch, das vieles aus dem heute noch wirksamen Modernismus (mit Wahrheiten, Zielen, Modellen) anhand konkreter Situationen in Frage stellt und die Chancen des postmodernen Konstruktionismus vorstellt. Übertragen auf Organisationsberatung und Coaching lassen sich viele Prinzipien erkennen – ausgehend davon, dass es keine festen und allgemein gültigen Modelle und keine gemeinsam anerkannte Ziele gibt bis zum gemeinsamen Schaffen von lokalen Rationalitäten, die die Handlungsfähigkeit erweitern helfen. Auch wichtig, die Grundhaltung, dass man sich eigentlich auf Augenhöhe begegnet, dass Fragen und Rückfragen zentral sind, um „passende“ Verständnisse von Situationen zu schaffen. Und dass viele Wirklichkeiten gemeinsam im Dialog geschaffen werden und später zu auch greifbaren Umsetzungen gebracht werden können.

Das Buch macht auch bewusst, dass es noch zu wenig postmoderne, konstruktionistische und damit für postmoderne und evolutionäre Organisationen passende Literatur zu Coaching und Organisationsentwicklung gibt.

Das therapeutische Gespräch – der gleichberechtigte Dialog als Perspektive der Veränderung von Harlene Anderson