Ein interessanter Ansatz: es geht nicht um die Frage, wie und wann kooperiert werden kann. Sondern darum, wann es sich lohnt, mit anderen zu kooperieren und wann nicht. Die Fragestellung geht von der Weltpolitik über das Gefangenendilemma ins Wissenschaftliche: es wurden Wettbewerbe ausgeschrieben, wer die besten Kooperationsideen habe, Turniere veranstaltet, viele Computerprogramm durchgespielt, um herauszufinden, wie sich Kooperation optimal entwickelt. Und wie man mit unberechenbaren, teilweise feindlich, sicher aber egoistisch ausgerichteten Gegenübern umgehen muss, um langfristig für sich und das Ganze den optimalen Nutzen zu finden. Der Autor kommt zu Schluss, dass Kooperation schon aus Eigennutzen nötig ist. Und berechnet die optimalen Verhaltensvarianten. Das Buch ist sehr trocken, teilweise etwas detailliert – mit vielen Tabellen und Zahlenreihen – aber sehr lehrreich geschrieben. In Kurzform: erweitere den Schatten der Zukunft, bleibe berechenbar, sei nicht kompliziert, biete Raum für Vorschussvertrauen aber lasse dir nichts gefallen.
Etwas erstaunlich und angesichts des restlichen Buches sehr unwissenschaftlich ist dann die Folgerung, dass Kooperation strategisch und nicht genetisch bedingt sei, da sie vernunftmässig Sinn macht. Als ob wir nicht schon klug geboren sein könnten. Hier liegt eine grosse Schwäche des Autoren, er verliert sich ob all den Berechnungen über die beste Form der Kooperation darin, dass er annimmt, alle würden alles so umfassend wie er berechnen, bevor sie sich ans Leben wagen. Den Berechnungen tut dies keinen Abbruch, allerdings trifft der Buchtitel „Zur Evolution der Kooperation“ weit neben dem, was im Buch beschrieben wird. Zur Entstehung und Entwicklung der Kooperation wird an anderem Datum in dieser Rubrik das Buch von Joachim Bauer über „Das kooperative Gen“ vorgestellt, das diesbezüglich fundiert ist – wo er belegt, dass Kooperation bei Menschen genetisch verankert ist – sonst gäbe es uns nicht mehr.
Ein weiterer kritischer Punkt ist, dass das zur optimalen Kooperationsstrategie erkorene „Tit for Tat“ eigentlich von der Nähe betrachtet keine Kooperationsstrategie, sondern eine Strategie der berechenbaren Ko-Existenz ist: Sie wird auch anhand der Grabenkämpfe im zweiten Weltkrieg belegt, wo eine kooperative Handlung (z.B. nicht während dem Weihnachtsfest angreifen) mit einer anderen kooperativen Handlung belohnt wird (z.B. nicht zu Essenszeiten angreifen). Und ein Übergriff (Schiessen zu Unzeiten) ebenso zurückgegeben wird (Prinzip: zwei oder drei Unannehmlichkeiten für eine unangenehme Überraschung). So dass dann mit der Zeit allen klar war und von den Grabenkriegern auch so formuliert wurde: anderen Unannehmlichkeiten bereiten ist ein umständlicher Weg, sich selbst Unannehmlichkeiten zu bereiten. Das wird auch heute noch so zwischen Israel und Palästina gehandhabt. Das als Kooperation zu beschreiben, ist vermessen und falsch verstanden. Kooperation funktioniert nur, wenn im Hintergrund beide Seiten dasselbe Ziel haben (wie die Soldaten im Graben die eigentlich Ruhe wollten, von oben aber immer wieder zu anderen, verlustreichen und ebenso erfolglosen Verfahren gezwungen wurden). Im Nahostkonflikt haben beide Seiten nicht dasselbe Ziel und deshalb ergibt sich dort mit „Tit for Tat“ auch kein Ergebnis. Kooperation bedeutet aber, dass man auch mit verschiedenen Zielen weiter kommt.
Der Autor hat rechnerisch bewiesen, dass im Gefangenendilemma „Tit for Tat“ die optimale Verhaltensweise ist. Das ist beachtenswert, aber keine umfassende Aussage zu Kooperation und schon gar nicht dazu, ob diese in den Genen liegt.

Die Evolution der Kooperation von Robert Axelrod