Die Jacobs-Stiftung unterstützt Projekte für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Während diese üblicherweise von den gegenwärtigen Rahmenbedingungen für diese Zielgruppe ausgehen, fragt sie in dieser Studie (herunterzuladen unter www. https://www.gdi.ch/system/files/WImfh9-3C6WkucLKv4zS_LjYPTRSEsUGf93WUre1la0) nach den Rahmenbedingungen im Jahre 2050 – und was dannzumal die Menschen können müssen, um sich im Leben einzurichten. Dabei herausgekommen ist eine Studie mit einem starken Aufforderungscharakter, sich vorzubereiten. Doppelt herausfordernd ist die Aufgabe der Bildung, die Kinder und Jugendliche auf die Zukunft vorbereiten soll(te). Über die zu erwartende Zukunft besteht keinerlei Konsens. Sicherlich entwerfen viele für sich stillschweigend eine Fortschreibung der Gegenwart – je nach Beurteilung der Gegenwart geht es dann in verschiedene Richtungen, die einander aber kaum gegenübergestellt werden. Für die privaten Zukunftsvorstellungen macht man sich normalerweise einen Mix aus Klimawandel, Geopolitik, Konsumgesellschaft und Ökologie, Kulturellen Entwicklungen und so weiter, bis zu den Langzeitauswirkungen der Corona-Krise.

Das Verdienst dieser Studie ist, dass sie all diese Aspekte nebeneinander gestellt hat und zusätzlich überlegt, über welche „Future Skills“ denn die zukünftigen BewohnerInnen dieser Welt hier in Mitteleuropa verfügen müssten. Dazu arbeitet sie mit vier verschiedenen Szenarien für das Jahr 2050.

Diese sind:

  • Kollaps: Internationaler Handel ist so gut wie inexistent. Lokale Gemeinschaften sind nicht mehr in nationale oder supranationale Organisationen eingebunden und müssen sich in den Ruinen einer globalisierten und industrialisierten Welt neu organisieren.
  • Gig-Economy-Prekariat: Maschinen haben viele Jobs übernommen und für technologische Arbeitslosigkeit gesorgt. Anstatt in eine neue Branche zu wechseln, wenden sich die Betroffenen einer neuen Beschäftigungsform zu, der Gig-Economy: als digitale Tagelöhne buhlen sie in einer durchökonomisierten Welt um rar gesäte Jobs.
  • Netto-Null: Die Hoffnung, dem Klimawandel mit Fortschritt und Technologie entgegenzutreten ist verflogen. Das einzige was bleibt, sind persönliche Einschränkungen, um die vollständige Reduktion der CO2-Emissionen zu erreichen. Dabei unterscheiden sich die Regionen, weil es lokale Lösungen braucht, um die Bereitschaft und Akzeptanz dafür zu erreichen.
  • Vollautomatisierter KI-Luxus: Maschinen haben den Menschen viele Jobs abgenommen. Von den Früchten dieser Arbeit profitieren alle. Menschen können alles, müssen aber nichts.

Sie stehen damit vor der Herausforderung, ihrem Leben Sinn zu geben und angesichts der überlegenen künstlichen Intelligenzen ihre persönliche Autonomie zu bewahren.

Diese Szenarien  sind alle heute schon in leichter Form vorhanden – was unsere Welt in 30 Jahren primär prägen wird, ist noch nicht klar. Für jede dieser Welten wurden Fähigkeiten und Eigenschaften abgeleitet, die notwendig sind, um darin bestehen zu können. Diese Kompetenzen wurden in einer Umfrage von  Schweizer Lehrerinnen und Lehrern daraufhin bewertet, inwiefern sie an ihrer Schule unterrichtet werden.

Die Ungewissheit der Zukunft und die Verschiedenartigkeit der vier Szenarien legen den Schluss nahe, dass es unmöglich ist, Kinder und Jugendliche auf die Zukunft vorzubereiten. Je stärker die Zukunft von der heutigen Welt abweichen wird, desto weniger dienen bestehende Institutionen und Erfahrungen als Orientierungshilfen – und desto mehr sind zukünftige Generationen auf sich allein gestellt. Kompetenzen der Selbstbestimmung wie Eigenantrieb, Selbstwirksamkeit und die Fähigkeit, in Gruppen Entscheidungen zu treffen, sind dem entsprechend in allen Szenarien wichtig. Future Skills bedeutet aber nicht nur, flexibel auf mögliche Zukünfte reagieren zu können. Es  bedeutet auch, die Zukunft zu gestalten. Der gesellschaftliche Gestaltungsspielraum wird im Westen jedoch kaum wahrgenommen, da wir spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges die Zukunft privatisiert haben. Aus gesellschaftlichen Zielen wurden persönliche Ambitionen. Die Zukunft ist damit zu etwas geworden, das uns zustösst und mit dem wir uns zu arrangieren haben.

Um Kinder und Jugendliche zur Gestaltbarkeit zu befähigen, schlägt die Studie drei Kategorien von Kompetenzen  vor:

  • «Wissen»: Um die Zukunft zu gestalten, muss man die Gegenwart kennen. Es braucht also ein Grundlagenwissen und damit auch das Wissen, was man nicht weiss. Bei einer sich rasant verändernden Welt sind auch Werkzeuge wichtig, sich schnell neues Wissen anzueignen.
  • «Wollen»: Ziele sind für die Zukunftsgestaltung unerlässlich. Durch Introspektion können eigene Wünsche und Bedürfnisse reflektiert und Ziele besser formuliert werden. Es braucht neue Ideen und nicht das Gefühl, dass «alles schon erfunden wurde», was gesellschaftliches Leben betrifft. Sind diese neuen Ideen von gemeinschaftlichen Werten geprägt, ist das zum  Vorteil  aller.
  • «Wirken»: Um die Diskrepanz zwischen der Gegenwart und formulierten Zielen zu verringern, ist konkretes Verhalten gefragt. Dafür ist Selbstwirksamkeit notwendig,  der Glaube daran, mit eigenen Kompetenzen etwas verändern zu können. Für die tatsächliche Umsetzung sind praktische Fähigkeiten nötig – von handwerklichen Kompetenzen bis hin zu organisatorischen Fertigkeiten. Schliesslich sind soziale Kompetenzen notwendig, um Entscheidungen in der Gruppe zu fällen und umzusetzen.

Um die Zukunft zu gestalten, braucht es neue Ideen, die man als Gemeinschaft umsetzt. Dazu ist kein gesamtgesellschaftlicher Konsens notwendig. Eine hochkomplexe Welt kann nicht zentral organisiert werden. Kleine Gemeinschaften, welche neue Ideen ausprobieren und voneinander lernen können, sind der Weg zu einer resilienten Gesellschaft. Durch selbstgewählte praktische Gruppenprojekte können Kinder und Jugendliche die Fähigkeiten sammeln, um innerhalb von kleinen Gemeinschaften solche Experimente zu wagen.

Eine sehr spannende und anregende Studie, die viel Diskussionsstoff hergibt – und gerade was die Umsetzung der Folgerungen betrifft, noch weiter entwickelt werden muss.

 

Future Skills – Vier Szenarien für morgen und was man dafür können muss von Jakub Samochowiec